Ausstiegsarbeit aus der extremen Rechten als professionelle Soziale Arbeit

Ein Beitrag von Tobias Lehmeier. Ausstiegsarbeit ist aus der Sicht der BAG-Ausstieg professionelle Soziale Arbeit – zivilgesellschaftlich, langfristig angelegt mit einem klaren Mandat für Klient*innen und kritischem Blick auf gesellschaftliche Gründe und Auswirkungen von extrem rechter Ideologie und Gewalt.

Begreift sich die zivilgesellschaftliche Ausstiegsarbeit als Teil der Sozialen Arbeit, hat dies weiterreichende Folgen für ihre Methoden und Ziele: Ausstiegsarbeit besteht im Kern aus vier Teilbereichen: Ideologische Aufarbeitung, Veränderung der Handlungsweisen, Sicherheit und Existenzsicherung. Um dieser Multiperspektivität gerecht zu werden, sind umfassende Fachkenntnisse über Teilbereiche vorab entscheidend. Unabhängig von der Profession ist der Auftrag und das Anliegen für den Begleitprozess zentral. Das Mandat der Ausstiegsberatungen orientiert sich an den Bedarfen der Ratsuchenden.

Gilt der Akzeptierende Ansatz als gescheitert? – Methoden in der Ausstiegsarbeit

Individuelle Wege finden (Foto ©Colourbox)

Ausstiegsarbeit ist Teil einer Gesamtstrategie gegen die extreme Rechte und deren menschenfeindliche Weltbilder. Als Profession bezieht sie damit klar Stellung und hat ihrem Charakter nach auch einen politischen Anspruch, findet man doch gemeinsam mit Klient*innen den Weg hin zur Achtung der Würde aller Menschen, die Überwindung menschenfeindlicher Ideologien und der Steigerung von Ambiguitätstoleranz. Diese Ziele können durch verschiedene Methoden der Sozialen Arbeit, der Gesprächsführung und der Systemischen Beratung erreicht werden. Ausstiegsarbeit versteht die Ratsuchenden als Expert*innen in eigener Sache und passt dementsprechend die Gestaltung der Prozesse individuell an.

Im Vordergrund der Ausstiegsarbeit steht nicht ein Streit um das bessere Argument[1]. Stattdessen geht es um das Aufdecken und Kenntlichmachen der individuellen Funktion menschenfeindlicher Ideologien und von gewalttätigem Handeln. Darauf aufbauend kann gemeinsam mit den Adressat*innen ein Weg gefunden werden, Taten aufzuarbeiten, Verantwortung zu übernehmen und diese Pfade des Menschenhasses zu verlassen, um ein anderes, erfüllteres Leben jenseits der bestimmenden Rolle von Ideologien der Ungleichwertigkeit und Gewalt zu führen. Viele Ausstiegsberater*innen haben dazu – neben ihren eigentlichen Professionen als Politolog*innen, Sozialarbeiter*innen, Juristi*innen, Kriminolog*innen, Psycholog*innen etc. – eine Ausbildung in der Systemischen Beratung. Ausstiegsberater*innen nutzen Methoden der Systemischen Beratung – verbunden mit einer kritisch-zugewandten Beratungshaltung und Menschenrechtsorientierung. Diese kritische Untermauerung von pädagogischen Ansätzen ist in einem so sensiblen Feld wie der Ausstiegsarbeit besonders wichtig.

Das gilt insbesondere in Abgrenzung zum sogenannten akzeptierenden Ansatz, der in den 90er Jahren beispielsweise in der Arbeit mit rechten Jugendlichen angewandt wurde ; diesen hält die BAG Ausstieg in der Praxis– insbesondere in seiner damaligen Umsetzung – für gescheitert.[2]

Zivilgesellschaftliche Ausstiegsarbeit ist methodisch breitgefächert und arbeitet im Dreieck von Werten, Haltung und Positionierung klient*innenorientiert, kritisch-zugewandt, systemisch-konstruktivistisch, lösungsorientiert, respektvoll, transparent, gendersensibel, niedrigschwellig und sozialraumorientiert. Sie dient nicht der Informationsgewinnung und unterliegt nicht dem Legalitätsprinzip. Die Mitglieder der BAG orientieren sich in ihrer Arbeit an bundesweit einheitlichen Qualitätsstandards. Die Beratungsarbeit wird kontinuierlich vom Deutschen Jugendinstitut evaluiert.

Wie gelingt Zusammenarbeit zwischen Sicherheitsbehörde und Ausstiegsberatung?

Für gelingende Ausstiegsarbeit muss der Klient*innenwunsch zentral sein. Dementsprechend kann ein Arbeitsverhältnis zwischen Sicherheitsbehörden und Ausstiegsberatungen sinnvoll sein, wenn es zum Beispiel um die Sicherheit der Klient*innen bei Bedrohungen geht und sich die Ausstiegswilligen eine Kontaktaufnahme wünschen. Auch im Hinblick auf Umzüge von Klient*innen in Bundesländer ohne zivilgesellschaftliche Ausstiegsberatung kann der Kontakt zu Sicherheitsbehörde resp. staatlichen Ausstiegsprogrammen von großer Wichtigkeit sein, sodass eine Fortführung der Begleitung sichergestellt werden kann.

Beratungsstellen arbeiten allerdings unabhängig von Sicherheitsbehörden. Somit findet weder eine Berichterstattung an die Sicherheitsbehörde statt noch folgt eine systematische Risikoeinschätzung zu einzelnen Beratungsfällen an die Sicherheitsbehörden.

Ziel der BAG Ausstieg ist es demnach flächendeckende Professionalität in der Ausstiegsarbeit zu gewährleisten und Adressat*innen mit professionellen Methoden und Ansätzen der Sozialen Arbeit zu unterstützen.

Bundesarbeitsgemeinschaft „Ausstieg zum Einstieg“ e.V. (BAG Ausstieg)
Seit mehr als 10 Jahren vernetzt der Dachverband BAG Ausstieg zivilgesellschaftliche Ausstiegsberatungen, entwickelt partizipativ Qualitätsstandards und vertritt die Interessen ihrer Mitglieder nach außen. Zur Entwicklung und Erprobung neuer Ansätze bestehen im Rahmen der BAG Ausstieg diverse Arbeitsgruppen sowie eine Akademie für Innovationen in der Distanzierungs- und Ausstiegsarbeit aus der extremen Rechten – AIDArex. Außerdem bietet die BAG Ausstieg seit 2020  verschiedene Fortbildungsformate an [verlinken: www.bag-ausstieg.de/fedrex/]Beispielsweise werden angehenden Ausstiegsberater*innen in einem sechsmonatigen Kurs die unterschiedlichen Facetten der Ausstiegsarbeit vermittelt. Hier finden Sie die 2019 veröffentlichten Qualitätsstandards.
Kontakt: info@bag-ausstieg.de; 0176 35658512

[1] Siehe unter anderem: Inhülsen, Leona (2021): Ein langer Weg. Ideologische Aufarbeitung in der zivilgesellschaftlichen Ausstiegsarbeit, S. 44 – 50, in: Bundesarbeitsgemeinschaft “Ausstieg zum Einstieg”: Ausstiegsperspektiven. Aspekte der Tertiärprävention im Kontext extreme Rechte.

[2] Eine kritische Auseinandersetzung mit der praktischen Umsetzung des akzeptierenden Ansatzes findet sich z.B. hier: Köttig, Michaela: Mädchen und junge Frauen aus dem rechtsextremen Milieu (2001): Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze und Konzepte der sozialen Arbeit, in: Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis, Jg. 24 (2001) Nr. 56/57, 103-116 oder ausführlicher hier: Zentrum Demokratische Kultur (1999): Keine Akzeptanz von Intoleranz. Grenzen der akzeptierenden Jugendsozialarbeit mit rechtsextremen Jugendlichen.

Tobias Lehmeier ist Politikwissenschaftler und seit 2018 in der Projektkoordination der Bundesarbeitsgemeinschaft „Ausstieg zum Einstieg“ e.V., dem Dachverband der zivilgesellschaftlichen Ausstiegs- und Distanzierungsberatungen aus der extremen Rechten, tätig. Dort bildet er unter anderem gemeinsam mit Berater*innen aus der Ausstiegspraxis Personen fort, die sich distanzierungs- und ausstiegsorientiert mit Menschen mit extrem rechten Einstellungs- und Handlungsmustern auseinandersetzen möchten, arbeitet an der Vernetzung auch themenfeldangrenzender Akteur*innen mit und beschäftigt sich mit Strategien zur Weiterentwicklung des Berufsfelds.

Eine weitere Perspektive in der kontroversen Debatte um Ausstiegsarbeit finden Sie hier.

Disclaimer: Inhaltliche und politische Positionierungen und Äußerungen unserer Autor*innen und Interviewpartner*innen geben die Meinung der Autor*innen und Interviewpartner*innen wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der RUK-Redaktion.

Herausgeberschaft, Redaktionelle Betreuung und Endredaktion: Miriam Müller-Rensch