Extremismusprävention und Ausstiegsarbeit: Ein alter und neuer Auftrag für die Soziale Arbeit!

Dr. Harald Weilnböck im Interview mit Mira Schwarz – In Anknüpfung an das Gespräch mit Dr. Harald Weilnböck zum Thema Vertrauensverhältnis in der Distanzierungs- und Ausstiegsarbeit im Phänomenbereich jihadistischer Salafismus aus Perspektive der Praxis, erhielt die Forschungsstelle RUK die Gelegenheit, die Rolle der Sozialen Arbeit im Arbeitsfeld der Extremismusprävention und insbesondere die Zusammenarbeit zwischen zivilgesellschaftlichen Akteur*innen und Sicherheitsbehörde zu diskutieren.

Mira Schwarz: Welche Rolle kann/sollte Soziale Arbeit im Feld der Ausstiegsarbeit spielen?
Dr. Harald Weilnböck von Cultures Interactive e.V.

Dr. Harald Weilnböck: Die Berufsfelder, die in der Radikalisierungsprävention und -Ausstiegsarbeit tätig sind, sind unterdessen sehr divers. Sozialarbeiter*innen haben darin heute allerdings eine Minderheitsposition. Zu Zeiten der Rechtsextremismus-Prävention in den 2000er Jahren wurde die Präventionsarbeit ausschließlich von Sozialarbeiter*innen umgesetzt. Beim sogenannten Islamismus [Phänomenbereich jihadistischer Salafismus; Anm. d. Redaktion] hat sich die Situation dann allerdings geändert und die Islamwissenschaftler*innen wurden „gerufen“. Strukturell gesehen war dies die falsche Wahl: Sie basiert auf dem fatalen Missverständnis, dass der von dieser Gruppe ausgehende Terrorismus mit dem Islam zu tun habe. Dies hat er allenfalls nur sehr indirekt. Wir haben es maximal mit einem aus dem Islam begründeten Extremismus zu tun.

Die zweite Gruppe, die in der Radikalisierungsprävention später dazugekommen ist, sind die systemischen Berater*innen. Davon kann sich nun der Bereich des Rechtextremismus etwas abschneiden, denn dort gibt es das Problem, dass sehr viel politischen Aktivismus im Vordergrund steht. Es wird dann schnell politisch gekämpft anstelle dessen, dass effektiv beraten wird. Die systemische Beratung könnte diesem Beratungsdefizit entgegenwirken. 

Mira Schwarz: Was sind die größten Herausforderungen an Sozialarbeiter*innen im Feld der Ausstiegsarbeit?

Dr. Harald Weilnböck: Herausforderung für die Extremismusprävention ist es, dass sie sozialarbeiterischer werden sollte.

Sozialarbeiter*innen hingegen begegnet die Herausforderung, die politische und religiöse Perspektive nicht völlig auszublenden. In der Sozialen Arbeit sollte dabei der akzeptierende Ansatz Anwendung finden . Dabei geht es um eine humanistische Einstellung, die Klient*innen zu akzeptieren. Das Verhalten einer Person kann und muss allerdings konfrontiert werden. Wenn nun in einem Feld, in dem eigentlich Fürsorgepflicht herrscht, politische Kämpfe ausgeführt werden, führt dies zu Problemen und diese polarisierte Situation ist eine Herausforderung. Ich würde allerdings davon ausgehen, dass „gute“ Sozialarbeiter*innen diese Kompetenz ohnehin mitbringen. Sozialarbeiter*innen sind in ihrer täglichen Arbeit dem Spannungsfeld ausgesetzt, dass sie auf der einen Seite ihre professionelle Verantwortung, wie z.B. das Sicherstellen vom Kindeswohl wahrnehmen müssen und sich auf der anderen Seite in die Klient*innen und ihre Lebenswelt soweit hineinversetzen müssen, dass ein Beziehungsaufbau möglich ist.

Mira Schwarz: Wo liegen Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen in der Zusammenarbeit von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen im Feld und den Sicherheitsbehörden?

Dr. Harald Weilnböck: Historisch gesehen sind Soziale Arbeit und Sicherheitsbehörden eher Gegner. Diese Zusammenarbeit ist also von großem Misstrauen geprägt. Eine aktuelle und pragmatische Herausforderung sind dabei die Fallkonferenzen. In den letzten acht Jahren wurden zwischen den Sicherheitsbehörden und den zivilgesellschaftlichen Akteur*innen Fallkonferenzen durchgeführt. Grundsätzlich ist es zu begrüßen, dass die zivilgesellschaftlichen Akteur*innen bei diesen Fallkonferenzen miteinbezogen werden. Das Problem ist jedoch, dass sie durch strukturelle Verwobenheit an vielen Orten zum verlängerten Arm der Sicherheitsbehörde geworden sind. Man sollte diese Zusammenarbeit nun retrospektiv und möglichst objektiv und einlässlich auswerten: Wie haben es die unterschiedlichen Bundesländer umgesetzt und welche Wirkungen hatten die Strategien? Geschieht diese Auswertung nicht, so würde ich sagen, sollten wir diese Zusammenarbeit kategorisch lassen.

Zwingend notwendig wäre zudem, dass diese zwei Bereiche sich besser kennenlernen: Fragestellungen, Herausforderungen und Grenzen kennen – so könnte das gegenseitige Verständnis gefördert werden. In einer optimalen Zusammenarbeit würden die Sicherheitsbehörden die Klient*innen an die zivilgesellschaftlichen Akteur*innen überweisen. Man darf sich das nicht zu leicht machen. Beide Bereiche müssen verstehen, was ihre Aufgabe ist und was die anderen tun. Ich zitiere an dieser Stelle gerne einen Kriminaldirektor, der ein Klan-Projekt in NRW betreut hat: Der Polizist weiß von einem strafrechtlichen oder geheimdienstlichen Problem. Er geht also zur Familie, klopft an die Türe und erzählt ihnen das Problem. Dann geht der Polizist wieder und wendet sich an den Sozialarbeiter. Diesem gibt er einen Auftrag: „Hier hast du alle meine Informationen, geh du hin und schau, was du machen kannst.“ Dann sagt der Kriminalkommissar: „Dieser Informationsfluss ist eine Einbahnstraße!“ Das ist weltbewegend. Vom Prozedere her ist es einfach: In Bezug auf die Informationen muss es eine Einbahnstraße sein. In dem man sich über die Natur der Arbeit austauscht, kann dennoch eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen den involvierten Stellen stattfinden. Wenn Sicherheitsbehörden eine genaue Risikoeinschätzung über ihre Klient*innen haben wollen, dann sollte ein psychiatrisches Gutachten durch forensischen Psychiater*innen erstellt werden.

Mira Schwarz: Welche Empfehlungen formulieren Sie für die unmittelbare Zukunft der Ausstiegsarbeit?

Dr. Harald Weilnböck: Ganz klar: Die fachspezifische Vergangenheitsbewältigung. Wir müssen im klassischen Sinne, die vergangenen zehn Jahre reflektieren. Was haben wir getan? Welche Rolle hatten wir? Welche Motivationen haben wir? Wie denken wir heute darüber? Aufarbeitung von missratener Vergangenheit, das würde ich uns dringend anempfehlen. In einem ersten Schritt sollte das in einem geschützten Rahmen passieren. Die Ergebnisse allerdings sollten der Öffentlichkeit zugängig gemacht werden. Das ist eine große Herausforderung, insbesondere da auch die unterschiedlichen zivilgesellschaftlichen Träger aufgrund von Förderstrukturen miteinander in Konkurrenz stehen. Das ist eine tüchtige Aufgabe, aber es könnte die Radikalisierungsprävention ein ganzes Stück weiterbringen.

Bessere Zusammenarbeit durch gegenseitiges Kennenlernen

Im Gespräch mit Dr. Harald Weilnböck wird die Komplexität der Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaftlichen Trägern und Sicherheitsbehörde deutlich. Nur wenn die beiden Bereiche sich besser kennenlernen, kann gute Zusammenarbeit gelingen. Die Soziale Arbeit sollte dazu ihre professionsspezifische Rolle und Haltung stets reflektieren, mit dem Ziel, sich klar zu positionieren und sich vermehrt auch im Phänomenbereich des religiös begründeten Extremismus aktiv einzubringen.

Lesen Sie auch den ersten Teil des Interviews mit Dr. Harald Weilnböck, in dem er über das Vertrauensverhältnis in der Radikalisierungsprävention und -Ausstiegsarbeit spricht.

Disclaimer: Inhaltliche und politische Positionierungen und Äußerungen unserer Autor*innen und Interviewpartner*innen geben die Meinung der Autor*innen und Interviewpartner*innen wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der RUK-Redaktion.

Herausgeberschaft, Redaktionelle Betreuung und Endredaktion: Miriam Müller-Rensch