Migrationsbezogene Konflikte als Herausforderung und Chance für institutionellen Wandel– Abschlusskonferenz des Projektes MigraChance

Ein Beitrag von Verena Jung Migrationsbezogene Konflikte stellen zugleich Herausforderung und Chance für institutionellen Wandel in groß- und kleinstädtischen Kontexten dar – Diese zentrale These diskutierte das MigraChance-Verbundprojekt der Fachhochschule Erfurt, der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster sowie des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung Leipzig zur Abschlusskonferenz im September 2021. Die RUK-Forschungsstelle nahm als Beobachterin teil. 

Unter dem Titel „lokale migrationsbezogene Konflikte im Kontext gesellschaftlichen Wandels“ fand vom 20. bis 22. September 2021 die MigraChance Abschlusskonferenz an der Fachhochschule Erfurt statt. Im MigraChance-Verbundprojekt unter der Leitung von Frau Prof. Dr. Katrin Großmann von der Fakultät Architektur und Stadtplanung der FH Erfurt erhoben die Wissenschaftler*innen von 2018 bis 2021 Fallstudien in Bebra, Leipzig und Gelsenkirchen. Dabei wurde in den unterschiedlichen räumlichen Kontexten rekonstruktiv die Wirkung migrationsbezogener Konflikte auf den Wandel lokaler Institutionen untersucht. Die Forschungsthese: Migrationsbezogene Konflikte stellen zugleich Herausforderung und Chance für institutionellen Wandel in groß- und kleinstädtischen Kontexten dar.

Migrationsbezogene Konflikte? Eine Frage der Perspektive

Kritische Nachfragen zu den Begrifflichkeiten und das Ringen um eine passende Formulierung des Forschungsvorhabens – in ihren Begrüßungsworten ließ Verbundskoordinatorin Prof. Dr. Katrin Großmann grundlegende Herausforderungen des MigraChance-Projekts anklingen. „Ethnisieren wir jetzt Konflikte?“ sei eine der häufigsten Rückfragen an die Forschenden gewesen.

Perspektive auf migrationsbezogene Konflikte
Aus welcher Perspektive werden migrationsbezogene Konflikte betrachtet? (Foto © Colourbox, 17625553)

An diese forschungsethischen Aspekte knüpfte Nikolai Roskamm vom Institut für Stadt- und Raumplanung der FH Erfurt in der Podiumsdiskussion zur Rolle von Migration im Konflikt an. Anstatt relevante Forschungsbegriffe allein zum Projektbeginn festzuschreiben, gelte es, diese immer wieder neu zu denken. „Migration ist zunächst einmal eine Ortsveränderung“, bricht Roskamm herunter und plädiert dafür, die Diversität von Migrationszusammenhängen zu berücksichtigen. Bezogen auf das Forschungsvorhaben drängten sich Fragen auf: Wer stellt die Beziehung zwischen Migration und Konflikt her? Wessen Perspektive wird eingenommen?

 

 

Migration als „besondere Zutat“ in Konflikten

Für Jörg Hüttermann (Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung) spielt Migration in Konflikten eine besondere Rolle, stünden Migration und Zuwanderung doch mit der „Angst vor dem gefährlichen Fremden“ am Anfang der soziokulturellen Evolution. Migration und darauf bezogene Konflikte bringen in ihrem Zusammenwirken neue soziale Strukturen hervor und stoßen sozialen Wandel an. Als Beispiel führte Hüttermann die Konflikte an, die im Verlauf und Nachgang der Zuwanderung aus der Türkei im Zuge des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens erfolgten. Allgemein seien es Hierachieverschiebungen, die zwischen „Alteingesessenen“ und Zugewanderten Konflikte auslösten.

In den anschließenden Panels wurde vertiefend zu Konflikten und institutionellem Wandel, Grenzverschiebungen und politischen Positionierungen sowie Möglichkeiten der kommunalen Konfliktbearbeitung diskutiert.

Herausforderungen und Chancen kommunaler Konflikte

kommunale Konflikte
Ein „beliebter“ Schauplatz für Konflikte: die kommunale Ebene (Foto © Colourbox, 13980225)

Migrationsbezogene Konflikte als Chance für institutionellen Wandel zu begreifen, fordert kontextspezifische Lösungsansätze, wie erste Forschungsergebnisse des Projektes aktivzivil zeigen: Ausgehend vom Aktivierungsschub der Zivilgesellschaft im Zuge des sogenannten „Sommer der Migration“ 2015 untersucht das Projekt die nachhaltige Wirkung bürgerschaftlichen Engagements auf das Sozialkapital und Gemeinwohl auf Mikro-, Meso- und Makroebene. In einigen Kommunen seien Verwaltung und Zivilgesellschaft zunehmend aufeinander zugegangen. Diese gegenseitige Anerkennung zwischen den Akteur*innen habe sich positiv und produktiv ausgewirkt, betonte Moritz Sommer vom DeZIM-Institut in Berlin.

Ein verhandeltes Beispiel zum Umgang mit migrationsbezogenen Konflikten im groß- und kleinstädtischen Kontext ist die Kommunale Konfliktberatung. Während die Verantwortung für die Konfliktbewältigung bei diesem systemischen Ansatz bei den Konfliktparteien verbleibt, erhalten diese (zeitlich begrenzte) Unterstützung durch externe Berater*innen. Präventiven, deeskalierenden oder kurativen Zwecken folgend knüpft die Beratungsarbeit an vorhandene Ressourcen wie z.B. Quartiersmanagement an. (Berndt/Lustig 2016, 37ff) Azzam Moustafa von der Kommunalen Konfliktberatung des VFB Salzwedel berichtete im Zuge seines Vortrags über ungleiche Machtverhältnisse und strukturellen Rassismus in der Beratungsarbeit.

Kein Lockdown für Konflikte

Deutlich wurde auf der Konferenz auch: Die Auswirkungen der Corona-Pandemie machen weder vor zivilgesellschaftlichem Engagement noch vor Forschungspraxis Halt. Demgegenüber existieren Konflikte auch in Zeiten des Social Distancing und belegen den Bedarf an kontinuierlicher Konfliktforschung sowie des Wissenstransfers in die Praxis.

Das BMBF-geförderte MigraChance-Projekt selbst läuft im Dezember 2021 aus. Die Ergebnisse lassen sich in Form von Projektberichten und Working Paper unter www.migrachance.de/publikationen finden. Nach Ende der Projektlaufzeit wird sich das Team um Frau Prof. Großmann vom Fachbereich Stadt- und Raumplanung der FH Erfurt in einem nächsten Projekt weiterhin mit Lokalen Konflikten beschäftigen, voraussichtlich ohne einen expliziten Migrationsbezug.

 

Verena Jung studiert Internationale Soziale Arbeit (M.A.) an der Fachhochschule Erfurt und arbeitet als wissenschaftliche Assistentin an der Forschungsstelle RUK.

 

Bibliografie

Berndt, Hagen; Lustig, Sylvia (2016). Kommunale Konfliktberatung – ein Beitrag zum Umgang mit Fragen des Zuzugs und der Integration. In: Warndorf, Peter (Hrsg.). Integration – zwischen Konflikt und Prävention, Band III. Münster.

Großmann, Katrin; Budnik, Maria; Haase, Annegret; Hedtke, Christoph; Krahmer, Alexander (Hrsg.)(2021). An Konflikten wachsen oder scheitern? Beiträge zur Reflexion eines komplexen Phänomens.

Herausgeberschaft, Redaktionelle Betreuung und Endredaktion: Miriam Müller-Rensch