Projekte

INSERT

– Integration Straffälliger Extremistischer Rückkehrer*innen durch Innovationen in der Kooperation sozialer Berufe mit Justiz, Justizvollzug und Polizei: Pilotstudie Thüringen

Integration of IS-extremist returnees through innovations in cooperation between social professions, the police force and justice system in Thüringen, Germany

Die Rückkehr jihadistischer Kämpfer*innen und Anhänger*innen des sogenannten „Islamischen Staates“ aus den Kriegskontexten des Irak und Syrien in Ihre Heimatländer stellt die Gesellschaften pluraler Demokratien vor die soziale und politische Herausforderung, den Widerspruch öffentlicher Sicherheit und persönlicher Menschen- und Freiheitsrechte aufzulösen. Die ersten Ansätze der EU-Staaten und ihrer engsten Partner im Globalen Norden, mit IS-Rückkehrer*innen vor, während und nach einer möglichen Verurteilung und Inhaftierung umzugehen, sind dabei so divergierend, wie die sozialen und justiziellen Systeme der jeweiligen Staaten selbst. Was sich jedoch bereits jetzt deutlich abzeichnet, ist die Vergleichbarkeit der Problemstellungen aus der Kooperation der am Re-Integrationsprozess beteiligten Akteure aus Sozialer Arbeit, dem Justizvollzug und der Polizei, sowie im grundsätzlichen Umgang mit Rückkehrer*innen durch staatliche Stellen.

Reibungsverluste bei der Kooperation der beteiligten Akteure

INSERT als Pilotprojekt zur Integration
INSERT als Pilotprojekt neuer © Gerd Altmann; Pixabay 07/2017

Während die Frage nach dem ethisch, rechtlich und sozialen „richtigen“ Umgang mit Rückkehrer*innen jede Gesellschaft für sich selbst wird beantworten müssen, eröffnet insbesondere der bundesländer- und staatenübergreifende Vergleich von Konflikten an den neuralgischen Schnittstellen der am Re-Integrationsprozess beteiligten Akteure neue Lösungsansätze, Möglichkeiten der Prozessverbesserung und alternative Perspektiven hin zu Innovationen bezüglich der Koordination und gegenseitiger Unterstützung der zentralen Akteure. Dabei unterscheiden sich soziale Berufe wie Soziale Arbeit, Justizvollzug und Polizei nicht allein in ihrer Arbeitsweise, sondern insbesondere auch in Ihrem Blick auf die Person der Rückkehrer*innen und dem für die jeweilige
Profession resultierenden Mandat.

Ein sozialarbeiterischer Blick auf ein bislang sicherheitspolitisch verhandeltes Thema

Alleinstellungsmerkmal von INSERT ist an dieser Stelle das Professionsverständnis Sozialer Arbeit und sozialer Berufe als primäre Perspektive auf den bisher vorrangig sicherheitspolitisch verhandelten Themenkomplex von IS-Rückkehrer*innen. Zielstellung von INSERT ist es deshalb unter der Berücksichtigung des jeweiligen Professionsverständnisses zunächst erfolgreiche Prozesse und Integrationsprogramme zu identifizieren, um im Anschluss auf Grundlage der Gemeinsamkeiten und Unterschiede der drei Berufsfelder neue, innovative Ansätze zur Verbesserung der Kooperation zu entwickeln.

Insbesondere soll im Projekt die in Praxis und Forschung bislang unterbeleuchtete Rolle von Frauen innerhalb der globalen Bewegung des jihadistischen Salafismus und somit auch im Netzwerk von IS-Rückkehrer*innen in Deutschland Berücksichtigung finden.

Die Thematik von Rückkehrer*innen nach Europa wird beispielsweise im Rahmen des “International Forum for Expert Exchange on Countering Islamist Extremism” (InFoEx) verhandelt. Hier geht’s zum Tagungsbericht InFoEx 2020.

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Daeshs alternativer Herrschafts-Modus in Irak und Syrien

Forschungsprojekt 2015 – 2020/2023:

Das Forschungsprojekt beschäftigt sich kritisch mit Fragen politischer Ordnung im Krieg und der Schaffung nachhaltiger politischer Ordnungen in Postkonflikt-Kontexten am konkreten Fallbeispiel Iraks und Syriens. Das Forschungsdesgin verbindet explizit das Kontextualisierungsgebot der Friedens- und Konfliktforschung mit dem Theorieanspruch der Demokratisierungsforschung.

Der „Islamische Staat“ (Daesh) als staatlicher und nicht-staatlicher Akteur

Kinder im Lager für geflüchtete aus Syrien und Irak Al-Azraq (Jordanien) © Müller-Rensch (2018)

Mit der fortschreitenden Destabilisierung des Nordirak und der Eskalation des Bürgerkrieges in Syrien gelang es der jihadistisch-salafistischen Gruppierung Daesh (sog. „Islamischer Staat“), aber auch anderen bewaffneten Gruppen, wie beispielsweise der Fattaḥ Al-Shām, über signifikante Zeiträume hinweg Anspruch auf die an Territorialität geknüpften, staatstypischen Gestaltungs- und Ordnungsfunktionen in den von den Gruppen kontrollierten sozio-politischen Gemeinschaften zu erheben. In diesem Prozess ziehen derlei nichtstaatliche Akteure, ob nun lokalen, nationalen und transnationalen Charakters, graduell staatstypische Leistungen aber auch Ansprüche immer dann an sich, wenn diese nicht oder nur unzureichend gewährleistet, bzw. eingefordert werden. Entsprechend des Vermögens dieser Akteure ihre Interessen im konkreten lokalen Kontext durch oder gegen die Akzeptanz der Bevölkerung zu verfolgen und durchzusetzen, können diese dann, zumindest phasenweise, als zum Staat konkurrierender Souverän i.S. von „multiple sovereignties“ auf dem von ihnen kontrollierten Gebiet auftreten. Die Erfahrungen der Zivilbevölkerung mit derlei „alternativen Governance-Modi“ bilden für viele nun mitunter den präsentesten Bezugspunkt für die Bewertung zukünftiger Regierungsangebote. Indviduelle Erfahrung und kollektives Gedächtnis politischer Gemeinschaften sind somit entscheident für Strategien und Instrumente des (Wieder-) Aufbaus legitimer Governance-Regime als Gerüst nachhaltiger Friedensordnungen und somit langfristiger Konfliktprävention.

Forschungsdesign

Das Forschungsdesign stellt die Rolle von Gewalt, Identität, Religion und Ideologie ins Zenrum der Analyse des Institutionalisierungsprozesses des Kalifatsprojekts in Irak und Syrien. Die Gesamtheit der dort im Zeitraum 2013 bis 2017 beobachtbaren Governance-Praktiken wird als alternativer Herrschaftsmodus („alternative mode of governance“) verstanden, wobei die Ergebnisse meiner Forschung einen Beitrag zur kritischen, interdisziplinären Governance-Forschung leisten sollen. Auf der Grundlage einer differenzierten Auseinandersetzung mit klassischen State- und Nation-Building sowie aktuellen Governance-Ansätzen, nimmt das Design die Bereiche Sicherheit (policing & surveillance, Militärgewalt), Recht (Gerichtsbarkeit, Strafrecht und Strafen, Verwaltungsrecht und –verfahren), Bildung und Erziehung (Familie, Schule, Universitäten) und die physische und narrative/virtuelle Integration und Abgrenzung des Gemeinwesens (Grenzregime, Mitgliedschaft, „citizenship“) in den Blick.

Methodischer Zugang und Empirie

Methodischer Zugang zu den Governance-Praktiken Daeshs ist neben der Analyse von Dokumentenfunden und Publikationen der Gruppierung eine ethnologisch-orientierte Situationsanalyse der Berichte von Augenzeugen über Interviews mit Geflüchteten und Opfern in Deutschland, Jordanien und Irak (vor Ort und online), aber auch ehemaligen Mitgliedern der Gruppe „Islamischer Staat“ in deutschen Justizvollzugsanstalten (Forschung derzeit in Niedersachsen und NRW)