Ein gemeinsames Feindbild – Besuch des digitalen KORA Forums 2020

Ein Beitrag von Mira Schwarz –  Das KORA-Forum hat sich in den letzten Jahren als zentrale Plattform professionellen Austauschs zur Prävention und Intervention bei islamistischer Radikalisierung und Islam- und Muslimfeindlichkeit in Sachsen etabliert. Zum digitalen KORA Forum vom 2. November 2020 wurde neben weiteren Themen die Frage verhandelt, wie gesellschaftliche Einstellungen nachhaltig verändert werden können, um ein demokratisches Zusammenleben zu ermöglichen.

KORA ist die Koordinierungs- und Beratungsstelle Radikalisierungsprävention (KORA) und Teil des Demokratie-Zentrums Sachsen den Kampf gegen islamistische Radikalisierung und Islam- und Muslimfeindlichkeit. Im Folgenden werden die Beiträge zweier Panels des digitalen KORA-Forums 2020 kurz erläutert und kritisch reflektiert.

Antisemitismus – Ein gemeinsames Feindbild von Islamismus und Muslimfeindlichkeit

„Ungeachtet dessen, ob wir über Islamismus, Muslimenfeindlichkeit oder Verschwörungsideologien sprechen: Zum Schluss liegt das Feindbild in den Juden und Jüdinnen*“.

Mit diesem antisemitischen Narrativ beschäftigen sich die drei Podiumsgäste des 2. Themenforums und diskutieren dabei über Opferkonkurrenzen und wie Sozialisation unsere Denkweisen prägt.

“Die Juden und Jüdinnen* werden geschützt, wir aber nicht.“

Diese Aussage, berichtet Désirée Galert, Bereichsleiterin Pädagogik bei der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, falle häufig von muslimisch sozialisierten Schüler*innen, wenn ihr Team an Schulen Workshops zum Thema Antisemitismus durchführe. Dabei handle es sich um Anerkennungskämpfe, die unter den Schüler*innen stattfinden würden. Mit dem Ziel für mehr Widerspruchstoleranz einzustehen, gehe es in der Arbeit mit den Jugendlichen dann darum, vorherrschende Schwarz-Weiß-Bilder aufzubrechen und ganz im Sinne des Beutelsbacher Konsens unterschiedliche Facetten und Narrative zu thematisieren. So könnten die Schüler*innen ihre eigene Meinung reflektieren und konkretisieren.

Benjamin Winkler, Projektleiter bei der Amadeu Antonio Stiftung, knüpft an die Aussagen von Galert an und unterstreicht die Notwendigkeit der Unterscheidung, ob es sich beim Gegenüber um Jugendliche oder um Erwachsene handele. Speziell in der Zusammenarbeit mit Erwachsenen sei man häufig mit gefestigten Weltbildern konfrontiert, die Widerspruchstoleranz nur schwer zuließen. Im Vergleich dazu seien Jugendliche regelmäßig zugänglicher für die Auseinandersetzung mit neuen Narrativen. Hier spannt Winkler den Bogen zu Verschwörungsideologien. Diese bräuchten in der Regel einen äußeren Feind: „Der Jude“ als intelligenter und vermögender Weltherrscher, der zum Ziel habe, die Macht „an sich zu reißen“ und die Welt zu steuern, sei dabei ein vorherrschendes Bild. Ein anderes Narrativ beschreibt Winkler, wenn es um das Feindbild muslimisch gelesener Personen geht: Diese würden häufig als rückständig, wenn nicht sogar ungebildet beschrieben.

Hier knüpft Jan Scholz, Islamwissenschaftler am Landeskriminalamt Thüringen, an. Im Anschluss an eine Darstellung der Geschichte des islamistischen Antisemitismus diskutiert er Antisemitismus auch als Parallele zwischen islamistischen und rechtsextremen Strömungen. Zwar überwogen die ideologischen Unterschiede, gleichwohl stellten homophobe Einstellungen eine weitere Gemeinsamkeit dar. Wie zuvor auch Winkler, beschreibt Scholz die Sozialisation als wichtigen Aspekt bei der Verbreitung antisemitistischen Gedankengutes. In den Gesellschaften des Nahen und Mittleren Ostens seien bestimmte Narrative teilweise sehr weit verbreitet, die Juden und Jüdinnen* die Schuld an unterschiedlichen Ereignissen bzw. Umständen zusprächen. Hierbei werde teilweise auch der Holocaust verleugnet. Bei der Bekämpfung des Antisemitismus gelte es unter anderem, entsprechende Narrative durch die Konfrontation mit den historischen Fakten zu dekonstruieren. So könnten entsprechende Einstellungen im Sinne eines friedlichen, demokratischen Zusammenlebens verändert werden.

Opferkonkurrenzen als gemeinsames Merkmal

In den drei Beiträgen wird deutlich, dass Opferkonkurrenzen von zentraler Bedeutung im Umgang mit Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit ist. Will heissen: Diffuse oder konkrete Erfahrung mit Ungerechtigkeit bergen die Gefahr, dass sich die betroffenen Personen neue Opfer suchen, auf welche sie die eigene Verletzung projizieren. In der Präventionsarbeit gilt es diesen Kreislauf zu durchbrechen.  In Orientierung an den Beutelsbacher Konsens geht es in der politischen Bildung darum, widersprüchliche Perspektiven aufzuzeigen und diese auszuhalten. Nur so kann es gelingen, dichotome  Weltbilder zu dekonstruieren und Verständnis und Empathie für andere Perspektiven zu entwickeln.

Einen ausführlichen Bericht zum 2. Themenforum „Diskriminiert? Radikalisiert?! Zum Umgang mit Erfahrungen von Islam- und Muslimfeindlichkeit in der universellen Präventionsarbeit“ finden Sie hier

Bilanz: Einstellungen nachhaltig verändern

Die beiden Themenforen verbindet den Anspruch, Einstellungen von Personen nachhaltig zu verändern. Weitgehend offen bleibt auf beiden Podien allerdings, wie dieses „Verlernen“ von Rassismus oder das Umdenken bzgl. tief verankerten Narrativen, stattfinden kann. Genau hier sollte die Soziale Arbeit ansetzen: Geleitet durch das Professionsverständnis gilt es, Personen mit ihren individuellen Lebensgeschichten ins Zentrum zu stellen und Anregungen zur Selbstreflexion zu schaffen. Nur wenn die Ursache des diskriminierenden Gedankenguts ergründet, dekonstruiert und die Erfahrung neu konnotiert wird, verändert sich die Einstellung einer Person. Selbstreflexion alleine reicht in diesem Prozess aber nicht aus: Die Grundwerte Sozialer Arbeit verpflichten zur „Zurückweisung von Diskriminierung“: Rassistische Äußerungen sind verfassungsfeindlich und dürfen in keiner Weise toleriert werden. Dazu braucht es die Zusammenarbeit aller Disziplinen: Sich gemeinsam gegen rassistische Äußerungen und diskriminierende Narrative zu positionieren gilt als Grundvoraussetzung für ein demokratisches Zusammenleben.

Das KORA Forum nimmt dabei eine wichtige Funktion ein, indem es die multidisziplinäre Zusammenarbeit sowie den Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis fördert und stärkt.

Hinweis zur Veranstaltung

Die Koordinierungs- und Beratungsstelle Radikalisierungsprävention (KORA) ist Teil des Demokratie-Zentrums Sachsen und unterstützt den Kampf gegen islamistische Radikalisierung und Islam- und Muslimfeindlichkeit. Das Forum dient als Plattform für fachlichen Austausch und als Netzwerk zur Prävention und Intervention bei islamistischer Radikalisierung und Islam- und Muslimfeindlichkeit in Sachsen. Am 10./11. November 2021 wird das fünfte KORA Forum erneut digital stattfinden.

Mira Schwarz studiert Internationale Soziale Arbeit an der FH Erfurt und arbeitet als wissenschaftliche Assistentin an der Forschungsstelle RuK-ASB. Ihr Schwerpunkt liegt dabei auf der Rolle der Frauen im jihadistischen Salafismus.  Daneben ist sie als Bildungsreferentin bei der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus in Berlin tätig.