Polarisierung im Wahlkampf – von unbeugsamen Galliern und deutschen Nationalisten

Ein Beitrag von Anna Magdalena Willer„Wir befinden uns im Jahre 50 v. Christus. Ganz Gallien ist von den Römern besetzt… Ganz Gallien? Nein! Ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten.“ (Asterix und Obelix)

Beim Lesen dieser Zeilen fühlen sich viele Menschen in ihre Kindheit zurückversetzt. Die Geschichten über die wehrhaften Dorfbewohner um Asterix und Obelix, die sich dem Willen Caesars und somit einer scheinbar überlegenen Großmacht widersetzen, führen noch heute dazu, dass sich Menschen mit diesen starken, unbeugsamen Charakteren identifizieren. Nach Christine Gundermann (vgl. 2009, 6) arbeitet der Comic stets mit dem gleichen Narrativ: dem Kampf von Klein gegen Groß. Der Comic sei daher als geschichtspolitisches Zeugnis variabel einsetzbar.

Eisenach als gallisches Dorf?

Dies hat scheinbar auch die Fraktion der NPD Eisenach erkannt. Sie nutzt die Popularität und positive Konnotation von „Asterix“ als politisches Instrument und veröffentlicht im Vorfeld der Kommunalwahlen am 26. Mai 2019 einen Wahlwerbespot mit dem Titel „Eisenach bleibt gallisches Dorf“.

Othering-Ausgrenzung
© Markus Spiske; pixabay 01/2015

Im Folgenden wird anhand der Analyse dieses Wahlwerbespots exemplarisch dargestellt, wie die NPD Fraktion Eisenach sich das „Asterix und Obelix Narrativ“ für den Wahlkampf zu Nutze macht. Hierzu wird zu Beginn die Darstellung des „Anderen“, des „Kriminellen“ und die Konstruktion einer vermeintlichen Bedrohung erklärt. Im weiteren wird diese Darstellung einem konstruierten „Wir-Gefühl“ sowie dem Begriff der Heimat gegenübergestellt. Abschließend wird ausgeführt, wie diese Funktionen des Otherings für politische Interessen und Wahlerfolge instrumentalisiert werden können.

Die gesellschaftlichen Spannungen haben in den letzten Jahren zugenommen und sich verfestigt. Nicht zuletzt ist dies begründet in gesellschaftlichen, aber auch politischen Prozessen der Polarisierung und des Othering. Dieses lokale Beispiel im ländlichen Thüringer Raum soll zeigen, wie eine rechte Partei gesellschaftliche Spannungen – entstanden im Kontext der Frage wie mit nach Europa geflüchteten Menschen umzugehen sei – aufgreift. Abschließend wird der Beitrag von exkludierenden Darstellungen und Othering zur weiteren Polarisierung der Gesellschaft erläutert.

Othering: Beim u.a. von Edward Said mitgeprägten Begriff handelt es sich um den permanenten Prozess der Kategorisierung, der letztlich zu einer diskursiven Unterscheidung zwischen „Wir“ und „die Anderen“ führt  Dabei wird das Eigene als positiv und selbstverständlich angesehen, während das vermeintlich Andere als nicht-zugehörig und abweichend kategorisiert und abgewertet wird (vgl. Fachstelle politische Bildung, 2018).

Widerstand den Eindringlingen

Das Video beginnt mit einer Zukunftsfiktion, in der im Jahre 2030 ganz Thüringen von sogenannten „Islamisten“ besetzt sei. Hier sind es jedoch nicht die unbeugsamen Gallier, sondern die Stadt Eisenach, die sich den vermeintlichen „Eindringlingen“ widersetzen müsse.

Der im Video verwendete Begriff „Islamisten“ ruft spätestens seit dem Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001, Assoziationen zum weltweiten Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat, zu Gewalt und Bedrohung durch die tödlichen Anschläge von Berlin (2016), Nizza (2016) oder Paris (2015) auf. Laut Bundesverfassungsschutzbericht 2019 zielt Islamismus „[…] auf die teilweise oder vollständige Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland ab.“ (Bundesamt für Verfassungsschutz 2019, 170). Die NPD Eisenach nutzt den Begriff „Islamisten“ hier jedoch generalisierend für alle Muslim*innen, was bei den im Video folgenden Bildern einer Demonstration am 13.05.2017 gegen einen Moscheebau in Eisenach verdeutlicht wird. Somit stellt es eine klare Kriminalisierung und Abwertung aller muslimisch gelesenen Personen dar. Diese Inszenierung des vermeintlich Fremden ist demnach elementarer Bestandteil von Othering-Prozessen.

Patrick David Wieschke, NPD Fraktionsvorsitzender der Stadtratsfraktion Eisenach, tritt als Redner der Demonstration auf. Er spricht von „Millionen Fremden“ (Willer 2019, 16), die gekommen seien, um das „[…] Land zu islamisieren und zu überfremden.“ (ebd., 17) Betrachtet man hierzu den Anteil der ausländischen Staatsbürger*innen und die Anzahl der Asylerstanträge im Jahr 2016 nach Bundesländern, so kann man sich fragen, woher diese Angst vor Islamisierung und Überfremdung gerade in Eisenach kommt. Wie der Thüringen Monitor 2018 zeigt liegt Thüringen hinsichtlich des Anteils ausländischer Staatsbürger*innen weit unter dem gesamtdeutschen Durchschnitt (4,7% ausländische Staatsbürger*innen; 15.422 Asylerstanträge im Jahr 2016, vgl. Reiser et al. 2018, 27- 29). In Eisenach war 2016 ein Anteil von 6,7% der Wohnbevölkerung mit ausländischer Staatsbürgerschaft zu verzeichnen (vgl. ebd. 27).

Ausgrenzung NPD
© Blickpixel; pixabay 10/2014

Doch die Ergebnisse des Thüringen Monitor zeigen auch, dass die Angst vor Überfremdung in den letzten Jahren in der Bevölkerung gestiegen ist. So stimmte 2018 jede/r Dritte der Aussage zu, dass Thüringen „[…] durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet“ (ebd. 121) sei. Genau diese Angst wird hier von der NPD genutzt und potenziert. Bezogen auf Muslim*innen scheinen Vorurteile besonders stark ausgeprägt zu sein. Mehr als die Hälfte der Befragten stimmten der Aussage zu, dass die meisten in Deutschland lebenden Muslim*innen deutsche Werte nicht grundgesetzgetreu akzeptieren und zu viele Forderungen stellen würden. 28% der Befragten gaben sogar an, Muslim*innen müsse die Zuwanderung untersagt werden. Diese Ergebnisse zeigen, dass es eine offene ausländerfeindliche Haltung in Teilen der Bevölkerung Thüringens gibt. Zudem greift die NPD Eisenach eine weitere im Thüringen Monitor 2018 erfasste ablehnende Haltung eines Teiles der Bevölkerung auf, wonach sich 63% der Befragten von einem Moscheebau in der Nachbarschaft eher bis sehr gestört fühlen würden (vgl. ebd. 127). Dabei war in Eisenach niemals ein Moscheebau geplant.

Eine Stadt, die Heimat war und Heimat bleiben soll

Nach dieser offenen Konstruktion des vermeintlich Fremden folgt in dem Wahlwerbespot die für Othering-Prozesse typische Konstruktion des „Wir“. Wieschke spricht über Eisenach als Stadt, die „Heimat war“ und „Heimat bleiben“ (Willer 2019, 25) soll. Es geht um Normen und Werte: Man sei „[…] immer gastfreundlich und offen für Menschen aus aller Welt“ (Willer 2019, 28, 29) gewesen. Fast könnte man meinen, es habe einen spezifischen Eisenacher Volkscharakter gegeben, dem alle Bürger*innen entsprochen hätten. Visuell verstärkt wird dieses Konstrukt der Heimat durch die von der NPD Fraktion gewählten Hintergründe des Videos. In wechselnden Sequenzen werden kulturelle Wahrzeichen und Sehenswürdigkeiten der Stadt gezeigt. Zu sehen sind die Nikolaikirche auf dem Karlsplatz, die Wartburg, der Marktplatz mit dem Rathaus und das Lutherdenkmal im Herzen der Stadt. Einzig das von der NPD erworbene und seit fünf Jahren u.a. als Bürgerbüro genutzte „Flieder Volkshaus“ und eine nicht genaue lokalisierbare Straße gehören nicht zu den Attraktionen der Stadt. Das sogenannte „Flieder Volkshaus“ ist im Video mit Papierblumen geschmückt, wie es jedes Jahr zum Sommergewinn, dem in Eisenach stattfindenden größten Frühlingsfest Deutschlands und immateriellen Kulturerbe der UNESCO, üblich ist.

Eisenach
Wartburg, Eisenach (© by axelmellin; pixabay 08/2017)

Durch die Darstellung des kulturellen Erbes Eisenachs, die traditionelle Aufmachung der eigenen Parteizentrale und den Rückblick, wie es früher in Eisenach gewesen sei, zeigt sich der substanzielle Wesenskern, der laut Nicke (2018) die „ […] Grundmaxime in rechtspopulistischen Identitätsvorstellungen bildet“. Hier sei noch einmal hervorgehoben, dass diese Konstruktion der „Heimat“ eine ganze Passage des Videos für sich einnimmt. Daran ist auch das Gewicht dieses Konstrukts erkennbar, denn die unspezifisch und assoziativ in Bildern beschriebene „Heimat“ ermöglicht eine identifikationsstiftende Bindung für die Zuschauer*innen mit Bezug zur Stadt Eisenach. Es führt zu einem „Wir“ Gefühl, „ […] dem man sich zugehörig und verbunden fühlt, dem eine Solidarität geschuldet und von dem Solidarität erwartet wird“ (Reiser et al, 42) und erschafft bei den Betrachter*innen ein diffuses Gemeinschaftsgefühl.

Wieschke spricht im weiteren Verlauf des Videos davon, dass seit 2015 die Hilfsbereitschaft Eisenachs ausgenutzt werde. Er spielt offensichtlich auf die Zuwanderung von Asylsuchenden im Jahr 2015 an. Doch er betont weiter, es seien eben keine Schutzsuchenden (vgl. Willer 2019, 35), sondern „Kriminelle und Betrüger“ (ebd., 36), die „seither unser Stadtbild prägen“ (ebd., 35). Auch hier werden wieder alle Geflüchteten und Einwander*innen unter den Generalverdacht gestellt, kriminell zu sein. Es werden diskriminierende Zuschreibungen aufgrund ihrer Herkunft gemacht, und so das Bild des bedrohlichen „Ausländers“ gezeichnet, gegen den man sich wehren und seine Heimat schützen müsse.

Polarisierung statt gesellschaftlichem Zusammenhalt

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die NPD Eisenach durch diesen Wahlwerbespot und die konstruierte Diskrepanz zwischen vermeintlich Zugewanderten und vermeintlich Einheimischen erheblich zur fortschreitenden Polarisierung der Gesellschaft auf lokaler Ebene beiträgt.

In den „neuen Bundesländern“ – so auch in Eisenach – sind die negativen wirtschaftlichen Entwicklungen in der Nachwendezeit noch immer spürbar. Sozioökonomisch benachteiligte Menschengruppen leiden unter materieller Deprivation, prekären Arbeitsverhältnissen und subjektiv gefühlter Chancenlosigkeit. Die soziale Lage nutzen Rechtsextreme im Sinne ihrer politischen Agenda und „reklamieren gerade in krisenhaften Zeiten eine Deutungshoheit ihres „nationalen Sozialismus.“ [Sie] verknüpfen die in diesem Sinne neu gestellte soziale Frage mit dem Thema der Migration, schüren rassistische Ressentiments vor allem gegen Einwander[*innen] und fordern eine nationalistische Schließung gegenüber den mit der Globalisierung verbundenen gesellschaftlichen und ökonomischen Öffnungs- und Liberalisierungstendenzen,“ fasst es Grumke treffend zusammen (Grumke 2009, 148, 149).

Durch die hier konstruierte Unterscheidung in „Wir“ und „die Anderen“, die die Stigmatisierung und Abwertung des vermeintlich „Fremden“ erzeugt, werden bestehende ausländerfeindliche Einstellungen, kulturelle und ethnische Vorbehalte und subjektive Abstiegsängste in Teilen der Bevölkerung bestätigt und verstärkt.
Die NPD hat, seitdem Udo Voigt 1996 die Parteiführung übernahm und sie von einer „[…] überwiegend deutschnationalen, eher systemkonform agierenden zu einer neonazistischen, systemfeindlichen Partei“ (Schulze 2009, 94) umstrukturierte, die soziale Frage zum zentralen Thema deklariert. Um dieses zu bedienen, bietet sie ihren Sympathisanten vor allem Identifikationspolitik. Mit einer starken Führungsperson in Eisenach, Patrick David Wieschke, ist sie damit, trotz seiner mehrfachen strafrechtlichen Verurteilung, zumindest lokal sehr erfolgreich. (Norbert Sellmann, 2014;  Zlotowicz, 2016).

Im Mai 2019 wurde in Eisenach ein neuer Stadtrat gewählt. Betrachtet man die Wahlergebnisse, stellt man fest, dass die NPD mit 10,2% der Stimmen erneut in den Stadtrat einziehen konnte. Die stark polarisierte Gesellschaft zeigt sich jedoch bei einem Blick auf die Stimmenverteilung der einzelnen Kandidat*innen. So kann man feststellen, dass die amtierende Oberbürgermeisterin Katja Wolf (Die Linke) zwar mit 8.166 Stimmen in ihrem Amt bestätigt wurde, doch Patrick David Wieschke erhielt mit 4.600 die zweit meisten Wahlstimmen. Statt der Förderung gesellschaftlichen Zusammenhalts wird somit auch auf politischer Ebene die Polarisierung und Spaltung der Gesellschaft weiter verstärkt und politische Entscheidungsprozesse zusätzlich erschwert.

Zum Video: NPD-Werbespot zur Eisenacher Stadtratswahl 2019

Zum Transkript: NPD-Werbespot zur Eisenacher Stadtratswahl 2019

Anna Magdalena Willer ist Studentin der Fachhochschule Erfurt im Bachelorstudiengang Soziale Arbeit. Schon seit ihrer Jugend engagiert sie sich gegen Rassismus und Rechtsextremismus und unterstützt ehrenamtlich die Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen ezra.

Disclaimer: Inhaltliche und politische Positionierungen und Äußerungen unserer Autor*innen und Interviewpartner*innen geben die Meinung der Autor*innen und Interviewpartner*innen wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der RUK-Redaktion.
Bibliografie 
  • Gundermann, Christine (2009): 50 Jahre Widerstand: Das Phänomen Asterix. In: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History. S. 115-128.
  • Bundesamt für Verfassungsschutz; Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (Hrsg.), Verfassungsschutzbericht 2018 (2019) URL: https://www.verfassungsschutz.de/de/oeffentlichkeitsarbeit/publikationen/verfassungsschutzberichte/vsbericht-2018 [14.12.2020].
  • Fachstelle politische Bildung (2018): “Es geht darum, Macht- und Herrschaftsverhältnisse zu hinterfragen.“ Interview mit Christine Riegel. URL: https://transfer-politische-bildung.de/mitteilung/artikel/es-geht-darum-macht-und-herrschaftsverhaeltnisse-zu-hinterfragen-interview-mit-christine-ri/ [12.01.2020].
  • Grumke, Thomas. „Sozialismus ist braun“: Rechtsextremismus, die soziale Frage und Globalisierungskritik. In: Braun, Stephan; Geisler, Alexander; Gerster, Martin (Hrsg.) (2009): Strategien der extremen Rechten Hintergründe – Analysen – Antworten. Wiesbaden. VS Verlag für Sozialwissenschaften. S. 148-162.
  • Nicke, Sascha (2018): Der Begriff der Identität URL: https://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtspopulismus/241035/der-begriff-der-identitaet [29.11.19]
  • Reiser, Marion; Best, Heinrich; Salheiser, Axel; Vogel, Lars (2018): Ergebnisse des THÜRINGEN-MONITORs 2018 URL: https://www.thueringen.de/mam/th1/tsk/thuringen-monitor_2018_mit_anhang.pdf [05.03.2020].
  • Schroeder, Klaus (2006): Die veränderte Republik. Deutschland nach der Wiedervereinigung. Stamsried: Vögel.
  • Schulze, Christoph. Das Viersäulenkonzept der NPD. In: Braun, Stephan; Geisler, Alexander; Gerster, Martin (Hrsg.) (2009):Strategien der extremen Rechten Hintergründe – Analysen – Antworten. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S. 92-108
  • Sellmann, Norbert (2014): NPD Thüringen – Mit Straftätern in den Wahlkampf. URL: https://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2014/05/06/npd-thueringen-mit-straftaetern-in-den-wahlkampf_16099 [14.12.2020].
  • Willer, Anna-Magdalena (2019): Transkript des Wahlwerbespots „Eisenach bleibt gallisches Dorf“ der NPD Eisenach.
  • Zlotovicz, Jensen (2016): Vier Monate auf Bewährung für Ex-NPD-Landeschef Wieschke. URL: https://www.tlz.de/leben/recht-justiz/vier-monate-auf-bewaehrung-fuer-ex-npd-landeschef-wieschke-id221540683.html [12.01.2021].

Redaktionelle Betreuung: Mira Schwarz
Herausgeberschaft, Redaktionelle Betreuung und Endredaktion: Miriam Müller-Rensch